Einblicke in verschiedene Umsetzungsstrategien
Von Michael Westermaier
Während vielerorts in Deutschland nur noch über die gescheiterte Klimawende lamentiert wird, nehmen einige pfiffige, kreative und mutige Kommunen und Gemeinden ihr Schicksal selbst in die Hand und entscheiden sich für eine neue, innovative Form der Energieversorgung – das sogenannte Intelligente Nahwärmenetz.

Bei der Intelligenten Nahwärme handelt es sich eher um einen Sammelbegriff, der die Tatsache umschreibt, dass ein Netz durch die geringeren Heizlasten von modernen Gebäuden nicht mehr zwingend auf hohem Temperaturniveau betrieben werden muss. Zwischen einem „Intelligenten“ und einem „Konventionellen Nahwärmenetz“ gibt es einige Unterschiede.
Konventionelles Nahwärmenetz
Die Vorlauftemperatur liegt ganzjährig zwischen 60 und 85 °C, die Wärmeerzeugung läuft meist über BHKW, Biomasse, Gas- oder Ölfeuerungen – Wärmepumpen finden bei diesen Temperaturniveaus kaum Anwendung.
Im Sommer ergeben sich hohe Verlustleistungen, da meist sehr wenig Abnahme innerhalb des Netzes (nur Trinkwasserbereitung) stattfindet. Viele Netze laufen über die Sommermonate daher defizitär und müssen die Wärmepreise nach oben korrigieren. Durch die geringe Wärmeabnahme kommt es auch immer wieder zu Problemen in der Temperaturspreizung innerhalb des Netzes, was sich wiederum negativ auf die Erzeuger auswirken kann.
Intelligentes Nahwärmenetz
Bei dieser Netzvariante können verschiedene Temperaturniveaus – je nach angestrebter Netzstrategie – gefahren werden. Zudem zeichnet das Nahwärmenetz eine zukunftsflexible Erzeugerstrategie aus: Die zentrale Sammlung von Umweltwärme, Erzeugung und Verteilung ist der markante Leistungsindikator für ein intelligentes Nahwärmenetz.

Ein Intelligentes Nahwärmenetz bietet dem Nutzer eine Vielzahl an Vorteilen: Primär handelt es sich um ein zukunftsoffenes System, sowohl was den Herstellungsprozess der Wärme als auch deren Verbrauch betrifft. Ein Beispiel: Heute ist die KWK mittels BHKW das Mittel der Wahl. Bei politischen Anpassungen der Rahmenbedingungen oder technischen Neuerungen kann das BHKW gestrichen und die neue, zumeist effizientere Energiequelle eingesetzt werden.
Gerade Gebäude mit einem höheren Energiebedarf oder auch Bestandsgebäude können über diese Technik versorgt werden. Auch Mischgebiete aus Neu- und Bestandsbau sind „Versorgungskandidaten“. Grundsätzlich ist weniger Strom notwendig als im reinen Quellnetz, da die Wärmepumpen weniger Hubarbeit verrichten müssen und in einem besseren Betriebspunkt arbeiten (höherer COP). Die Eigenstrom-Erzeugung bzw. Eigenwärme-Produktion ist auf Nutzer- bzw. Betreiberseite problemlos möglich.
Es gibt verschiedene Umsetzungsstrategien eines „Intelligenten Nahwärmenetzes“ (kalt, gleitend, warm/kalt, heiß), die nachstehend erläutert werden.
Intelligentes Nahwärmenetz – kalte Strategie

Die ganzjährige Vorlauftemperatur liegt bei 8 bis 12 °C, dadurch kommt es kaum zu Wärmeverlusten im Netz. Durch den Einsatz von nicht isolierten Rohrleitungen kann „auf dem Weg zum Endabnehmer“ zusätzlich noch Energie aufgenommen werden, was die Erschließung der eigentlichen Quelle (Sondenfeld, Grundwasserbrunnen, etc.) günstiger macht.
Dafür ist aber relativ viel Strom für den Betrieb der dezentralen Wärmepumpen notwendig, was den Stromnetzausbau vor Probleme stellen kann. Diese Netze nutzen ausschließlich Umweltwärme auf geringem Temperaturniveau und können nicht durch zusätzliche Energieträger unterstützt werden. Bestandsgebäude können in der Regel nicht mit eingebunden werden, da die Heizlasten zu hoch sind.
Intelligentes Nahwärmenetz – kalt/warm Strategie
Im Winter wird das Netz auf eine Vorlauftemperatur von 60 bis 85 °C gefahren, wie ein klassisches Netz. Damit kann die Heizlast der Gebäude komplett abgedeckt werden. Das Warmwasser wird ebenfalls und ausschließlich über die Nahwärme direkt erzeugt. Ab einer Außentemperatur von ca. 12 °C und wärmer wird das Netz auf Sommerbetrieb umgeschaltet und läuft mit einer Vorlauftemperatur von 10 bis 30 °C. Die Vorwärmung der Netztemperatur passiert über eine Heizzentrale mit Solarthermie oder andere Energiequellen (BHKW, Hackschnitzel, etc.).
Der große Vorteil: Die solarthermische Komponente kann maximiert werden. Die Warmwasserbereitung und eventuelle „Rest-Heizlasten“ in der Übergangszeit übernimmt die dezentrale Wärmepumpe innerhalb jedes einzelnen Gebäudes. Ideal geeignet für diesen Netz-Typ sind Mischbebauungen (Neubau und Bestand), da die Heizlasten im Winter unabhängig von der Leistung der Wärmepumpe nahezu beliebig hoch sein können – denn die Wärmeübertragung geschieht mit einer klassischen Fernwärme-Übergabestation.
Intelligente Nahwärmenetze – gleitende Strategie

Bilder: ratiotherm GmbH & Co. KG, Dollnstein
Bei dieser Strategie wird die Vorlauftemperatur im Nahwärmenetz immer in Abhängigkeit der Außentemperatur gehalten, fließend bzw. gleitend zwischen 10 bis 50 °C, vergleichbar mit der Heizkurve einer Zentralheizung. Die Gebäude müssen so beschaffen sein, dass diese Temperatur zur vollständigen Beheizung ausreicht, die Übertragung geschieht mittels Übergabestationen innerhalb der hierfür spezialisierten Wärmepumpen.
Die Warmwassererzeugung übernimmt die in jedem Gebäude dezentral platzierte Wärmepumpe ganzjährig, wobei die Vorwärmung des Brauchwassers durch die Nahwärme realisiert wird. Die Wärmeerzeugung des Netzes erfolgt in einer Heizzentrale aus einem Mix aus Solarthermie, BHKW und klassischen Feuerungen (Biomasse, Öl, Gas). Die gleitende Strategie ist primär für den Neubau geeignet.
Klimawende aktiv selbst gestalten
In der Siedlungswirtschaft bzw. -politik stellen „Intelligente Nahwärmenetze“ auf jeden Fall eine der zur Zeit effizientesten und spannendsten Formen der Energieversorgung von Gebäuden dar. Dabei erfüllen diese Versorgungskonzepte je nach Netzausprägung bereits bestmöglich die Anforderungen an die Sektorenkopplung. Die Umsetzung eines solchen Areals und der Erfolg hängen allerdings stark von den Rahmenbedingungen ab – sei es technisch oder rechtlich. Dies sorgt bei vielen potenziellen Betreibern für ein zögerliches Entscheidungsverhalten. Teilweise ist auch die Unwissenheit bei vielen politischen Entscheidern zu diesem Thema eine große Hürde.
Doch gerade in jüngster Zeit hat sich etwas getan in puncto „positive Lobbyarbeit“ für diese Form der Nahwärmenetze. So sind diverse attraktive staatliche Förderungsprogramme aufgelegt worden, welche dem Thema nochmal einen positiven Schub geben. Ebenso zeugen viele aktuelle Marktstudien und Meinungsumfragen von dem öffentlichen Interesse an den regenerativen Versorgungsnetzen und dem steigenden Verständnis in den Entscheiderkreisen.
Zunehmend werden auch die Versorgungsnetze als privates Investment beliebter. Viele Energie-Genossenschaften und Bürgerinitiativen suchen in dieser Technologie die Möglichkeit, das Geld des „kleinen Mannes“ gewinnbringend zu investieren, da viele andere Investments nicht mehr so lukrativ erscheinen. Doch das sind alles „nur“ angenehme Nebeneffekte. Die Kernbotschaft der Nahwärmenetze sollte lauten: „Liebe Energieversorgungsentscheider, verlasst euch nicht mehr länger auf die Politik, sondern fangt endlich an, die Klimawende aktiv selbst zu gestalten – es gibt nur einen Planeten Erde!
Info → ratiotherm
Autor
Dipl.-Ing. (FH) Michael Westermaier, Leiter Vertrieb & Marketing, ratiotherm GmbH & Co. KG.