Low-Tech: innovativ – regenerativ – lukrativ

Die neue LAPP Europazentrale in Stuttgart-Möhringen
Lapp Kabel ist der führende Hersteller innovativer Kabelsysteme und Verbindungstechnologie. Das Unternehmen wurde 1959 von Oskar und Ursula Ida Lapp gegründet und ist seither im Industriegebiet von Stuttgart-Möhringen angesiedelt. Ein kontinuierliches Wachstum führte zu einer stetigen Vergrößerung des Standorts.
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Bild 1: Fassadenansicht Lapp Europazentrale

Um den Flächenbedarf zu decken und auch in Zukunft effizient arbeiten zu können, entschied sich die Gründerfamilie 2011 für den Neubau einer Europazentrale. Dort sollten mehrere Abteilungen aus unterschiedlichen Gebäuden zusammengeführt werden, um besser zusammenarbeiten zu können.

Gleichzeitig sollte mit dem Neubau ein neuer Meilenstein in Sachen Arbeitsplatzqualität gelegt werden, um auch die Attraktivität als Arbeitgeber weiter zu steigern.

Mit der Europazentrale wurden auf 9 000 m² BGF rund 440 neue Büroarbeitsplätze sowie Konferenzräume und ein Ausstellungsraum der Firmengeschichte geschaffen.

Im Vordergrund stand dabei eine offene Bürostruktur mit gutem thermischem und visuellem Komfort. Wichtig für den Bauherren war aber auch eine hohe Wirtschaftlichkeit und eine beherrschbare Technik, um die Arbeitswelt 4.0 zu realisieren.

Um dieses Ziel zu erreichen, wurden zum Projektstart die Anforderungen der am Projekt Beteiligten aufgenommen und gewerkeübergreifend diskutiert. Als Projektsteuerer und Generalfachplaner wurde das Projektmanagement- und Immobilienberatungsunternehmen Drees & Sommer beauftragt.

Neben den Wünschen der Nutzer und den Vorstellungen des Bauherrn galt es auch, die gesetzlichen Anforderungen zu beachten – insbesondere den seit 2014 verbindlich geltenden und erneut verschärften sommerlichen Wärmeschutz nach DIN 4108-2. Eine wesentliche Herausforderung war es, trotz der erhöhten Vorgaben die Fassade (Bild 1) so transparent zu konzipieren, dass eine sehr gute Tageslichtqualität erreicht wird. Zusammen mit dem Architekturbüro wurde hierzu ein Baukastensystem für die Fassade entwickelt. Die Bausteine waren unterschiedliche Verglasungsqualitäten, opake Elemente, Bedruckungen sowie opake Flächen.

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Bild 2: Innenansicht Büro und Fassade

Das Ergebnis: eine optimierte raumhohe Fassade mit Dreifachverglasung und einem außenliegenden Lamellenraffstore. Zwei Öffnungsflügel ermöglichen eine dosierbare Fensterlüftung im unmittelbaren Zugriff der Arbeitsplätze. Die übrigen Teilflächen der Fassade sind festverglast und im unteren Bereich teilweise opak.

Der transparente Anteil liegt bei rund 55 % (von innen gesehen) und vermittelt von allen Arbeitsplätzen aus einen hohen Außenraumbezug sowie eine sehr gute Tageslichtversorgung (Bild 2). Gleichzeitig ist auch der sommerliche Wärmeschutz gesichert. Zwei Flächen wurden als opake Paneele ausgeführt, an denen die Heizkörper so montiert sind, dass eine optimale thermische Behaglichkeit erreicht wird.

Aufgrund des guten winterlichen und sommerlichen Wärmeschutzes und den minimierten internen Wärmelasten durch die LED-Beleuchtung und den Einsatz von Thin Clients kann mit thermisch aktivieren Decken energiesparend geheizt und gekühlt werden.

Im Winter wird die thermisch aktive Decke durch Heizkörper ergänzt, die eine bedarfsgerechte Heizung ermöglicht. Im Sommer erhalten die Nutzer die Möglichkeit, mit abgehängten Kühlsegeln individuell zu kühlen.

Lüftung und Raumakustik

Die Fensterlüftung ist in Großraumbüros häufig problematisch, da eine Koordination zwischen dem „Bediener“ am Fenster und den Nutzern, die weiter entfernt arbeiten erforderlich ist. Die fassadenfernen Arbeitsplätze erhalten deshalb eine maschinelle Lüftung über Schlitzluftdurchlässe an den Kernwänden. Damit wird sichergestellt, dass auch die Nutzer, die keinen unmittelbaren Zugriff auf die Fenster haben, zuverlässig mit Außenluft versorgt werden.

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Bild 3: Thermischer Komfort im Großraumbüro entsprechend Kategorie II nach DIN EN 15251

Gleichzeitig ist eine sinnvolle Wärmerückgewinnung möglich. Die Kanalführung beschränkt sich auf den Kernbereich in abgehängten Decken. Die gesamte Konstruktionshöhe von Decke/Fußboden liegt bei nur 50 cm (UKRD – OKFFB).

Andere Konzepte mit Luftführung in abgehängten Decken, im Doppelboden oder eingelegt in die Betondecke erfordern um mindestens 15 cm höhere Aufbauhöhen.

Durch die thermisch aktivierten Decken wird Speichermasse direkt an den Raum angekoppelt. Die Raumtemperatur reagiert somit viel träger auf Wärmelasten.

In Verbindung mit der natürlichen Lüftung und den niedrigen inneren Wärmelasten sind bei einer Belegungsdichte von 6,5 m²/Arbeitsplatz trotzdem ein guter thermischer Komfort und eine ausreichende Luftqualität sichergestellt (Bild 3).

In Großraumbüros liegt besonderes Augenmerk auf der Raumakustik. Gute Nachhallzeiten von < 0,6 s werden in Verbindung mit der Bauteilaktivierung nur durch akustisch wirksame Absorber mit einer Fläche von 30 % der Raumfläche erreicht. Zusätzlich werden Wandabsorber, Trennwände und Tischteiler in das raumakustische Gesamtkonzept integriert.

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Bild 4: Positionierung der Akustiksegel im Großraumbüro

In mehreren Optimierungsschritten wird integral zwischen Bauherr, Nutzer, Architekt, Bauphysiker, Energiedesigner und TGA-Planer eine Lösung erarbeitet, die abgependelte Akustiksegel entsprechend 30 % der Raumfläche vorsieht (Bild 4).

In die Decken sind thermische Steckdosen sowie Schalungskästen eingelassen, die einen Anschluss von zusätzlichen Kühlelementen ermöglichen. Im Grundausbau wird zunächst jedes zweite Segel als Kühlsegel angeschlossen.

Durch ein konsequentes Raster können so auch in Zukunft bei Umbauten abgeschlosseneinnen liegende Räume gebildet werden, die mit einer Kühldecke temperiert und mit einer maschinellen Lüftung versorgt werden können.

Die Vorlauftemperatur der Kühlsegel ist Taupunkt-geregelt. Dies führt einerseits zu einer Leistungsminderung im Schwülefall, stellt aber sicher, dass es zu keiner Kondensatbildung kommt.

Ein Faltblatt (siehe weiter unten Bild 8) informiert die Nutzer über richtiges Lüftungsverhalten hinsichtlich Luftqualität (insbesondere im Winter) und Wärmeeintrag (insbesondere im Sommer).

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Bild 5: Begrüntes und lichtdurchflutetes Atrium

Ein weiteres Highlight stellt das Atrium dar (Bild 5). Es verbindet die beiden Gebäudeteile und dient als Kommunikations- und Begegnungszone.

Eine fast 20 m hohe grüne Wand schafft einen besonderen Bezug zur Natur. Diese Wand sorgt durch ihre Verdunstungskühlung im Sommer für angenehme Temperaturen.

Durch die Fotosynthese, also das Umwandeln von CO2 in Sauerstoff, wird die Luftqualität deutlich verbessert. Eine maschinelle Lüftung ist nicht erforderlich.

Mithilfe einer 3-dimensionalen Strömungssimulation (Bild 6) werden die erforderlichen Lüftungsquerschnitte ermittelt und optimiert.

Zum einen stellt das eine zuverlässige Abführung der Wärme und Vermeidung der Überhitzung sicher. Zum anderen wird dadurch aufgezeigt, dass die Luftgeschwindigkeiten innerhalb der Behaglichkeitsgrenzen liegen.

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Bild 6: Luftgeschwindigkeiten im Atrium bei natürlicher Lüftung. Ermittelt per CFD-Simulation

Energiekonzept

Die hohen Kühltemperaturen und niedrigen Heiztemperaturen sind optimale Bedingungen für die Integration erneuerbarer Energien. Neben Geothermie wurden auch Konzepte mit Biomasse-Baustein diskutiert. In Vorstudien wurde aufgezeigt, dass der Abstand zu gipsführenden Schichten groß genug ist.

Im zweiten Schritt konnten dann einige Sondenanlagen in der näheren Umgebung ausfindig gemacht werden, die in der neueren Zeit erstellt wurden. Die Ergebnisse der Probebohrung zeigten positive Rahmenbedingungen und führten trotz der erhöhten Sicherheitsauflagen (größerer Bohrdurchmesser, Überwachung der Sonden, Monitoring) des Amtes für Umweltschutz der Landeshauptstadt Stuttgart zu einem sehr wirtschaftlichen Energiekonzept (Bild 7).

Insgesamt wurden 44 Sonden mit je 120 m in einem 8 m-Raster gebohrt. Diese werden im Sommer zur direkten Kühlung von Bauteilaktivierung, Kühlsegeln und RLT-Anlage verwendet. Im Heizfall dienen die Sonden als Quelle für den Betrieb einer Wärmepumpe. Die Systeme sind auf ein Temperaturniveau von 35/25 °C im Heizfall und 15/20 °C im Kühlfall ausgelegt.

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Bild 7: Das Energiekonzept für die Lapp Europazentrale

Die Fensterlüftung erfordert ein schnell regelbares, leistungsstarkes Element im Heizfall. Hier wurde auch aus Kostengründen auf klassische Heizkörper gesetzt. Diese erlauben nach dem Stoßlüften im Winter (Bild 8), schnell die gewünschte Behaglichkeit wiederherzustellen. Die Spitzenlast für die Heizkörper wird über einen Gas-Brennwert-Kessel bereitgestellt.

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Bild 8: Auszug aus der Nutzerempfehlung für Fensterlüftung im Büro
Bilder: Lapp, Drees & Sommer

Der Primärenergiebedarf liegt bei 113 kWh/m²a und damit 30 % unter dem des EnEV-Referenzgebäudes. Für den Neubau bestanden Auflagen zur Dachbegrünung, die zunächst eine Installation von Photovoltaik-Modulen verhinderten. Nach intensiven Abstimmungen mit dem Amt für Umweltschutz konnte eine Freigabe erwirkt werden, die zugestand, rund 50 % der Dachfläche mit Fotovoltaik-Modulen zu belegen. Damit konnte noch eine PV-Anlage mit rund 25 kWp installiert werden, die 10 % des Strombedarfs nach EnEV abdeckt.

Durch den Verzicht auf eine vollflächige maschinelle Lüftung und den Einsatz von Geothermie als wesentlicher Baustein des Energiekonzepts ist ein im Hinblick auf die Investitions- wie auch die Energiekosten vorbildliches Gebäude gelungen.

Die ersten Nutzererfahrungen auch während heißer Sommertage bestätigen die innovative Konzeption mit einfachen Lösungen.

Projektteam

Bauherr: Lapp Immobilien GmbH & Co. KG

Projektsteuerung: Drees & Sommer

Architekt: Schwarz Architekten, Stuttgart

Generalfachplanung: Drees & Sommer Advanced Building Technologies (TGA-Planung, Energiedesign, Bauphysik)

Tragwerksplanung: Boll und Partner, Stuttgart

Autor

Johannes Hopf, Projektpartner bei Drees & Sommer